Digitale Transformation,  Digitalisierung,  Gesellschaft

“German angst” oder Lust auf Neues ?

Ich wurde gestern gefragt worin es sich begründet, dass im internationalen Vergleich gerade in Deutschland die „Angst“ vor dem „Digitalen Wandel“, bzw. grundsätzlich vor dem „Neuen“ (Veränderungen), so überproportional ausgeprägt ist.

Umgangssprachlich wird dieses Phänomen ja mit dem (Kunst)Begriff „german angst“ zum Ausdruck gebracht.

Ich werde jetzt natürlich nicht in die Tiefen der (Gesellschafts)Psychologie abdriften, denn zu diesem Begriff gibt es wahrlich eine ganze Anzahl von entsprechender Literatur.

Ursachen der German Angst

Dennoch sollte man im Hinterkopf behalten, dass diese „german angst“ auch nicht unwesentlich aus der Erfahrung der Deutschen mit 2 Weltkriegen beruht.

„Doch woher kommt sie, diese deutsche Hasenfüßigkeit? Altbundeskanzler Helmut Schmidt glaubt es zu wissen: „Die Deutschen haben die Neigung, sich zu ängstigen. Das steckt seit dem Ende der Nazi-Zeit und Krieg in ihrem Bewusstsein“, sagte er 2011.“ (Quelle: https://www.welt.de/wissenschaft/article132728527/Die-German-Angst-steckt-tief-in-unseren-Genen.html)

„Viele Sozialforscher sehen in der German Angst einen Ausdruck für die Traumatisierung durch zwei Weltkriege. Einige Forscher glauben sogar Hinweise darauf gefunden zu haben, dass sich traumatische Ereignisse wie Hungersnöte, Weltkriege, Verfolgung und Vertreibung im Erbgut niederschlagen können. German Angst wäre demnach vererbbar.2)

Nach der „Conservation of Resources Theory” (Stevan Hobfoll) lässt sich German Angst psychologisch als die natürliche Furcht vor dem Verlust von materiellen und immateriellen Gütern (Ressourcen) erklären. Da die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg viel Energie aufgewendet haben, um Sicherheit und Wohlstand aufzubauen, ist die Furcht vor dem Verlust entsprechend groß.“ (Quelle: https://www.psychomeda.de/lexikon/german-angst.html)

Zusätzlich sollte man hierbei nicht vergessen, dass gerade auch in Ostdeutschland Freiheiten (Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, …) lange Jahre reglementiert, bzw. weitestgehend unterdrückt, wurden. Diese kollektive Erfahrung des „Überwachens“ führt naturgemäß auch dazu, dass man sich allen Bestrebungen widersetzt, die auch nur ansatzweise dieses Gefühl aufkommen lassen.

Natürlich liefern diese Erklärungsansätze auch nur einen kleinen Teil dessen, warum diese „kollektive“ Angst sich in fast allen Lebensbereichen wiederspiegelt.

Und dann eben auch bei Themen wie dem „Digitalen Wandel“ oder beispielsweise dem Datenschutz dazu führen, dass Deutsche beispielsweise bei der Nutzung von SmartHome, der elektronischen Gesundheitskarte oder Micropay eine extreme Zurückhaltung an den Tag legen. Die Liste an Beispielen lässt sich nach Belieben verlängern.

Rolle von Medien

In diesen Canon der „german angst“ zahlen zudem auch die (Massen/Leit)Medien kräftig mit ein. Es gibt zwar keine Statistik über die Anzahl von „positiven“ oder „negativen“ Nachrichten (mir ist jedenfalls keine bekannt), aber gefühlt werden wir täglich mit neuen Krisen-, Horror- oder sonstigen Negativmeldungen überschüttet. Dies ist an sich auch nicht wirklich verwunderlich, denn:

„In der Kommunikationswissenschaft gibt es dafür den Begriff der Kultivierungshypothese. Das bedeutet, dass die Darstellung der Medien die öffentliche Wahrnehmung prägt. Und dort liefern negative Nachrichten in der Regel größere Schlagzeilen als positive Meldungen.“ (Quelle: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/oeffentliche-wahrnehmung-schlechte-nachrichten-sind-glaubwuerdiger-12638879.html)

Dieses Gefühl wird darüber hinaus noch durch die Sozialen Medien /Facebook, Twitter) massiv verstärkt. In vielen der dortigen Threads/Posts geht es schlichtweg nur noch darum, dass „worst case“-Szenario als das neue Dogma, die neue Wahrheit,  an die „Wand zu malen“. Und auf Grund der hohen Verbreitungsgeschwindigkeit und Verbreitungsreichweite sind derartige Szenarien dann viel schneller „unter dem Volk“, als positive Nachrichten.

Selbstverständlich unterliegen die Medien nun mal den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Verlage) und sind nicht nur da, um den Deutschen ihre typische „german angst“ zu nehmen.

Doch ein etwas ausgewogenerer Blick, eine ausgewogenere Berichterstattung über das was gut läuft, was sich positiv entwickelt, kann auch dazu beitragen, dass unser Selbstbild sich (selbst wenn nur auf lange Sicht) deutlich positiver darstellt.

Rolle der Politik (und auch Parteien)

Eine nicht unwesentliche Rolle bei der öffentlichen Wahrnehmung spielt zudem die Politik. In der Aufgabe das Land zu gestalten, die Rahmenbedingungen für eine moderne, offene, pluralistische Gesellschaft zu schaffen, fördert die Politik mit diversen Aussagen und Gesetzen die „german angst“.

Ständig neue Überwachungsgesetze mit Hilfe modernster Technologien unter dem Deckmäntelchen des „Terrors“, Eingriffe in die durch das Grundgesetz geschützten Rechte wie die Meinungsfreiheit,  Panikmache aus Angst vor Kontrollverlust wie am Beispiel „social bots“, Horrormeldungen über den Verlust von Arbeitsplätzen durch den technologischen Wandel … all dies trägt dazu bei, dass das Vertrauen der Bürger in den „technologischen Fortschritt“, auch gegenüber der Regierung (dem Staat), auf ein Minimum geschrumpft ist.

Oder um es ganz einfach zu formulieren:
„Wenn der Staat seinen Bürgern nicht vertraut, wird er auch kein Vertrauen erwarten dürfen.“

Hier wäre die vordringlichste Aufgabe der Politik ein positives Gesellschaftsbild zu zeichnen. Ein Gesellschaftsbild indem die Würde und Freiheit jedes Einzelnen genau so geachtet wird, wie die notwendigen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen.

Ein ständiges Befeuern der „german angst“ wird lediglich bewirken, dass sowohl Vertrauen, als auch Bereitschaft sich an der notwendigen Veränderung zu beteiligen, gegen 0 gehen wird.

Lust auf das Neue wecken ?

Uns stehen mit dem digitalen Wandel Herausforderungen bevor, die sich durch alle Gesellschaftsbereiche ziehen werden.

Die Angst davor zu nehmen ist eine der Hauptaufgaben der nächsten Jahre. Unabhängig der der Politik (Staat) könne auch alle an diesem Prozess Interessierten und Beteiligten dazu beitragen, dass wir ausgewogen Nachteile/Risiken, aber auch Vorteile/Chancen deutlich und objektiv herausarbeiten.

Und sie dann MIT der Gesellschaft diskutieren. Über Wege, wie auch dieser Wandel unsere Gesellschaft POSITIV verändern kann.

 

 

 

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