Politik

Sozialliberal/Linksliberal: Label vorhanden … Inhalte schwammig

Auf dem am vergangenen Wochenende stattfindenden Landesparteitag der Piraten von NRW wurde unter anderem über folgendes Positionspapier abgestimmt https://wiki.piratenpartei.de/NRW:Landesparteitag_2014.1/Antr%C3%A4ge/PP001.
Hierbei ist unter anderem die politische Verortung des Landesverbandes festgelegt worden. Aber schauen wir mal zunächst, das da genau beschlossen wurde:

 

Der Landesverband NRW betrachtet die Piratenpartei Deutschland im Selbstverständnis, und im Gleichklang mit der Bundessatzung und dem Grundsatzprogramm, als sozialliberale Partei. Der Landesverband der Piratenpartei NRW bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG, eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes

nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

Man kann diesem Positionspapier sicher (bedenkenlos) zustimmen. Dies haben die anwesenden Teilnehmer  in der Mehrheit dann auch getan.
Zumal doch bereits andere Landesverbände ebenso das Label «sozialliberale Partei» gewählt haben.

Ganz unbeachtet von der Frage, ob diese Positionierung nun notwendig war oder nicht, hinterlässt die gewählte Formulierung nun dennoch das ein oder andere  Fragezeichen im Gesicht so manches Mitglieds. Denn die grundsätzliche Frage, was denn nun genau hinter der Formulierung «sozialliberale Partei» steckt wurde bisher weder vom LV NRW, noch von den anderen LV hinreichend beantwortet.
Das ist insofern schade, dass eine Klarstellung einfach mal Not getan hätte.
So entsteht zwangsläufig der Eindruck, dass man (aus welcher konkreter Motivation heraus auch immer) ein Label gewählt hat, hinter dem schlicht nichts (oder nur sehr schwammig und nebulös) etwas steht.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass der LV NRW bzw. die anwesenden Mitglieder*innen eine entsprechende Beschreibung wohl in den Köpfen hatten. Nur bleibt die eben am Ende des Tages trotz Beschluss verborgen. So bleibt auch die Frage, ob die anderen LV, die ähnliche Beschlüsse gefasst haben eine analoge oder wenigstens ähnliche inhaltliche Definition vorschwebte wie den Piraten aus NRW. Genau diese Frage muss auch an dieser Stelle offen bleiben. Leider.

Also wagen wir schnell einen Blick zu Wikipedia um nachzuschlagen, was sich denn nun hinter sozialliberal verbirgt. Und werden gleich erst einmal erstaut die Augen aufreißen, da uns hier sofort der Begriff linksliberal entgegenblickt:

Als Linksliberalismus oder Sozialliberalismus wird heute eine politische Strömung bezeichnet, die Liberalismus und Elemente linker Politik verbindet. Der moderne Linksliberalismus versucht, sowohl negative Freiheit (Freiheit von etwas, z. B. Abwehr staatlicher Eingriffe) als auch positive Freiheit (Freiheit zu etwas, z. B. Anspruch auf staatliche Leistungen) zu verwirklichen.

Oha. Nun wird also sofort der Begriff des Sozialliberalismus mit dem des Linksliberalismus gleichgesetzt. Was bei mir natürlich sofort die Frage aufkommen lässt, ob sich alle LV´s, die sich dieses Label “sozialiberal” bisher gegeben haben wirklich bewusst waren, über was da konkret abgestimmt wurde. Natürlich! …. kann man nun sagen. Gut. dann dürfte ja auch kein Mitglied ein Problem damit haben, wenn wir nunmehr als Begriff anstatt des “sozialiberal” auch “linksliberal” verwenden. Doch genau da scheint dann doch irgendwie ein Reflex einzusetzen der sagt: Nene, wir sind sozialliberal. Nicht linksliberal

Aber Stop:
War es nicht auch genau die Position, die Fabio Reinhardt von den Berliner Piraten versuchte zu beschreiben, als er in seinem Blogbeitrag in der Flaschenpost von der «linksliberalen Sicht» sprach?

Und Aleks Lessmann aus seiner Sicht ebenfalls in der Flaschenpost die «sozialliberale Position», so als direkten Kontrapunkt zur Sichtweise von Fabio?

Und nun schauen wir also nochmals kurz zurück zur Definition zu Wikipedia:  Sozialliberal = Linksliberal?

Wozu dann die beiden Positionen als Kontrapunkt?
Wozu dann der unterschiedliche Sprachgebrauch und die verschiedentliche Deutung der Begriffe?
Wozu dann die unterschiedlichen Labels als Positionierung, wenn am Ende doch eh das gleiche zu stehen scheint?

Und um die Verwirrung noch etwas kompletter zumachen schauen wir ganz kurz in die Historie. Auch hier hilft uns Wikipedia mit einem Verweis auf die Freiburger Thesen.
Nie gehört? Macht nix. 
Diese entstanden auf einem Parteitag der FDP Mitte des 20. Jahrhunderts und beinhalteten 4 Kernthesen:

So, und darf sich jeder linksliberale und jeder sozialliberale Pirat einfach mal fragen, ob er grundsätzlich zu diesen Thesen stehen kann oder diese ablehnt.
Nur als kleine Erinnerung, auch im aktuellen Grundsatzprogramm der Piraten finden dir die Begriffe wieder, die in den Freiburger Thesen verwendet werden.

Insofern stellen sich mir persönlich folgende Fragen:

Wenn ausgehend von der Wikipedia-Definition die Unterschiede wirklich nur im Label liegen, und nicht in den Inhalten, wozu dann die diversen Positionspapiere oder kontroversen Diskussionen um Abgrenzung? Wozu dann die ständige Wiederholung via Twitter? Wozu dann überhaupt die Kontroversen? 

Wenn es doch signifikante Unterscheide zwischen linksliberal und sozialliberal vorhanden sind, wie genau definieren sich diese?
Was macht dann die Einzigartigkeit der Positionen aus?

Alles Fragen, die mir bisher alle Positionspapiere, Beschlüsse oder Blogbeiträge nicht hinreichend beantworten konnten.

Vielleicht ist es an der Zeit, die Labels “sozialliberal” und “linksliberal”  mit Leben zu füllen, mit Inhalten, auch mit Abgrenzungen, Besonderheiten.
Wenn dieser Blogbeitrag den konstruktiven Diskurs dazu anstoßen kann, dann hat er sein Ziel erreicht. Je mehr sich daran beteiligen wollen, desto schneller bekommen wir nicht nur als Landesverbände, sondern auch als Gesamtpartei hier endlich Klarheit.

Oder sind wir vielleicht doch näher beieinander, als wir glauben?

2 Kommentare

  • ich

    IMHO haben die Verbände, die sich in den letzten Wochen als sozialliberal, linksliberal o.ä. positioniert haben, keine Richtungsänderung o.ä. beschlossen. Das wäre eine programmatische Entscheidung gewesen, die wohl kaum per Positionspapier mit einfacher Mehrheit zu treffen wäre.

    Diesen Begriffe fehlt es also nicht an Inhalten, sondern diese Begriffe sind nach Ansicht der Landesparteitage als Label geeignet, unsere Inhalte (aka. Programm) zu beschreiben! (Hint: “Abschaffung Deutschlands”, “Demokratie=Brückentechnologie” o.ä. ist nicht Bestandteil des Piratenparteiprogramms.)

    Als jemand, der auf dem LPT Hamburg kürzlich ein Positionspapier mit angenommen hat, dass die Piraten als “liberale und linke Partei” bezeichnet, fühle ich mich auch keineswegs in einer Gegenposition zu den Landesverbänden, die sich als sozialliberal sehen. Dass das in etwa dasselbe bedeutet wie linksliberal, und im Wesentlichen Geschmackssache ist, ist mir wohl bewusst, und den anderen vermutlich auch.

    Worum es in Wahrheit geht, ist eben überhaupt die Eigenschaften liberal *und* sozial/links als wesentliche Charakteristika für die Piratenpartei festzustellen. In der jüngeren Vergangenheit gab es eine Tendenz in einer bestimmten innerparteilichen Strömung, das Wort liberal entweder aus dem Parteiselbstverständnis tilgen zu wollen (indem bspw. versucht wird, Begriffe wie “links-progressiv” o.ä. für die Piratenpartei zu etablieren), das Wort in negativem Kontext zu reframen oder im Sinne von “linksliberal, aber Hauptsache links” in Verbindung mit eher merkwürdigen Definitionen von “liberal” zu vereinnahmen.

    Das Bekenntnis der Piraten-Landesverbände, linksliberal, sozialliberal o.ä. zu sein, ist daher als Statement zu sehen, gefälligst die Finger von unserem liberalen Grundverständnis zu lassen, bei gleichzeitiger Feststellung, dass auch linke/soziale Politik zu unserem Markenkern gehört, und wir mit “liberal” nicht fdp-liberal meinen. Wer linksliberal sagt, möchte damit vermutlich noch stärker betonen, dass es eben nicht um eine Ablehnung linker Positionen geht. Wer sozialliberal sagt, möchte sich dagegen vielleicht etwas stärker von oben erwähnten, eigenartigen Definitionen von “linksliberal” distanzieren. Aber inhaltlich meinen beide in das Gleiche.

    Man darf als Bürgerrechtspartei nicht vergessen, dass Bürgerrechte ein grundlegend liberales Prinzip sind. Das Individuum genießt Abwehrrechte gegenüber dem Kollektiv (in Gestalt des Staates). Bürgerrechte sind definitiv kein linkes Prinzip. Linke Ideologien sind alle mehr oder weniger kollektivistisch. Linke, die nicht gleichzeitig auch liberal sind, neigen dazu Bürgerrechte nur aus der Opposition heraus wertzuschätzen, sich aus einer Machtposition heraus aber leicht Begründungen zurecht zu legen, warum die Bürgerrechte des einen oder anderen Gegners gefälligst beschränkt oder aufgehoben gehören. Diese Tendenzen sind auch bei etlichen einflussreichen Piraten zu erkennen, gegenüber denen deswegen bei vielen liberalen Kräften in der Partei keinerlei Restvertrauen mehr herrscht.

    Leider habe nicht nur ich das Gefühl, dass die links-nicht-liberalen Leute in der Partei mittlerweile weitaus mehr Einfluss haben als ihnen von der Anzahl her zusteht, bzw. dass das Verhältnis durch die #Flaggengate/#Bombergate/#Molligate-Austrittswelle gar endgültig zu kippen droht. Ein Schelm, wer dahinter Absicht vermutet.

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