Juncker und der digitale Binnenmarkt – mehr Herausforderungen als nur Arbeitsplätze
Nach einem wochenlangen Streit mit den Briten, deren Premier Cameron die Ernennung Junckers als Kommissionspräsident mit aller Macht zu verhindern suchte, scheint nunmehr die Wahl des Luxemburgers nur noch eine Formsache. Denn das europäische Parlament hat bereits im Vorfeld seine Zustimmung deutlich gemacht.
Und somit verdienen natürlich Äußerungen Junckers, die jetzt bereits bekannt werden, eine besondere Beachtung. Unmittelbar nach seiner Nominierung hat der designierte Präsident fünf Prioritäten veröffentlicht.Link: http://juncker.epp.eu/node/151.
Bemerkenswert dabei, dass Juncker sich gleich in der ersten seiner Prioritäten für einen “digitalen Binnenmarkt für Verbraucher und Unternehmen” als Kernaufgabe seiner Legislaturperiode ausspricht. Dieser soll nach seinen Vorstellungen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Digitalbranche erhöhen und somit für Wachstum und Beschäftigung sorgen. Juncker geht davon aus, dass durch die Bündelung und Regulierung “Hunderttausende neue Arbeitsplätze” entstehen können, basierend auf einem Wachstumsvolumen von 500 Mrd. Euro.
Dazu möchte er offenbar einen “Digitalkommissar” einsetzen der mit “weitreichenden Vollmachten” ausgestattet werden soll.
Grundsätzlich klingt dies in den Ohren der Netzgemeinde und der natürlich auch der PIRATEN erst einmal positiv. Und natürlich werden wird als PIRATEN auch ein sehr aufmerksames Auge darauf haben, wie ernst dem Präsidenten die Umsetzung seiner Ankündigung wirklich ist. Denn bei der Umsetzung warten einige dicke Brocken auf die EU, die erst einmal aus dem Weg geräumt sein wollen.
Gerade zwischen Wirtschaft und Verbraucher liegen doch die Wünsche und Vorstellungen weit auseinander. Insofern das Thema “lebendige Wissensgesellschaft” vorangebracht werden soll, muss vorher der offene Konflikt zwischen den Verwertungsrechten der Urheber (und natürlich auch den Verwertungsgesellschaften) und den Verbrauchern aufgelöst werden. Gerade hier sind die Gräben enorm tief.
Doch wie soll eine “lebendige Wissensgesellschaft” entstehen, wenn aktuell die Rechte der Verwerter/Urheber weit über dem öffentlichen Interesse zum freien Zugang zu Wissen stehen? Es darf nicht passieren, dass die Interessen der Wirtschaft gerade in diesem sensiblem Bereich über die Interessen der europäischen Bevölkerung gestellt werden.
Um diesen Komplex aufzuarbeiten, muss sich J.C. Juncker nicht nur damit auseinandersetzen, sondern auch in benachbarte Themenbereiche eintauchen, die auf den ersten Blick nicht so offensichtlich mit dem Thema “digital” verbunden sind.
Dazu gehört auch ein Blick auf das aktuelle Patentwesen, welches gerade im Bezug auf öffentlichen (freien) Zugang zu Wissen eine manchmal enorme Hürde darstellt. Des Weiteren muss sich der designierte Präsident auch dem Thema gesellschaftliche Teilhabe widmen. Denn allein den technischen/rechtlichen Zugang zu ermöglichen reicht unserer Ansicht nach nicht aus, wenn die Bürger nicht in der Lage sind, im Rahmen der gesellschaftlichen Teilhabe an der Entwicklung mitwirken zu können. Und da allein wird die Bereitstellung “hundertausender neuer Arbeitsplätze” nicht ausreichend sein.
Wenn J.C Juncker er ernst meint, dann muss er auch die EU-Bürger im Auge mitnehmen, die aus vielfältigen Gründen nicht in der Lage sind, dem digitalen Wandel und der sich damit veränderten Arbeitswelt erfolgreich zu stellen. Hierbei muss auch der Aspekt des freien Zugangs zur Bildung mit angegangen werden.
Weiterhin muss sich J.C. Juncker auch der Frage stellen, wie gerade der Schutz der persönlichen Daten in den aktuellen Debatten um NSA und Co sichergestellt werden kann. Hierbei spielen dann natürlich auch die Verhandlungen um TTIP eine wesentliche Rolle. Denn hier wird gerade durch den transatlantischen Partner versucht, das niedrige Datenschutzniveau auch in Europa zu installieren. Eine Entwicklung, die seitens der PIRATEN schon länger angeprangert wird. Gleiches gilt für das den Zielen von J.C. Juncker nicht minder abträgliche Abkommen “TiSA”. Denn mit diesem können staatliche Leistungen, wie freier Wissenszugang oder freie Bildungsangebote, durch Deregulierung (Marktliberalisierung) so privatisiert werden, dass schon allein der Gedanke an einen wirklichen freien Zugang daran zerbröseln wird. Und um den Bogen dann vollends zu spannen, spielt hier auch die schnellstmögliche Verabschiedung eines europäischen Datenschutzgrundabkommens eine wichtige Rolle.
Wie man sieht, ergeben sich allein aus der ersten Priorität des designierten Präsidenten eine Menge Herausforderungen, die es zu lösen gilt, wenn die benannten Punkte nicht nur im Sinne der Wirtschaft, sondern auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union umgesetzt werden sollen.